Von damals bis heute: Filmpioniere in der Oberlandstraße

In den großen roten Ziegelsteingebäuden der Atelier Gardens, in denen in näherer Vergangenheit noch TV-Hits wie „Die Kurt Krömer Show“ oder „Circus Halli Galli“ gedreht wurden, sammeln sich Anfang des letzten Jahrhunderts die Pioniere des deutschen Stummfilms. Denn noch lang bevor sich in der Oberlandstraße ein Industriegebiet etabliert, wird sie zu einer der Drehscheiben der deutschen Film- und später Fernsehgeschichte.

Die ersten Schritte des Films in Deutschland

Es ist das Jahr 1913. Der Film – damals natürlich noch stumm – erlebt gerade einen Boom in Deutschland. Und ganz besonders in Berlin. Die Anzahl der sogenannten „Lichtspielhäuser“ liegt dort bei etwa 300. 15-mal so viele wie noch kaum ein Jahrzehnt zuvor. Zum Vergleich: heute gibt es in der deutschen Hauptstadt 91 Kinos mit 266 Sälen. Auch bei der Filmproduktion mischt Deutschland zum Anfang des letzten Jahrhunderts ordentlich mit. In der Berliner Innenstadt sprießen die Filmstudios nur so aus dem Boden.

Doch schon bald stellt man fest: weniger dicht besiedelte Gegenden eignen sich besser zum Drehen. Es ist ruhiger und es gibt mehr Platz. So entscheidet sich der deutsche Filmpionier Alfred Duskes dazu, eine Filmproduktionsstätte in dem noch größtenteils unbebauten Gebiet südlich des Tempelhofer Felds zu errichten.

Tageslicht als Drehvoraussetzung

Von außen sieht sein Bau aus, wie ein großes gewächshausähnliches Gebäude. Dank dieser Architektur sollen optimale Beleuchtungsbedingungen geschaffen werden. Tageslicht ist zu der Zeit trotz des Vorhandenseins elektrischen Lichts noch zentral für die Filmproduktion. Tatsächlich gibt es auf Filmsets sogar sogenannte „Sonnenkieker“, deren Aufgabe es ist die Lichtverhältnisse am Himmel zu beobachten. Erst mit ihrem „Okay“ kann der Dreh einer Szene beginnen.

Im selben Jahr in dem Alfred Duskes Produktionsstätte errichtet wird bekommt die Oberlandstraße auch schon ihr zweites Glashaus. Es wird von Paul Davidson, einem Gardinenhändler mit einer Vorliebe für Kino in Auftrag gegeben. „[S]chon aus weiter Ferne [sieht man] zwei seltsame Gebilde emporragen, die wie riesenhafte Vogelkäfige aussehen“ schreibt die Fachzeitschrift Lichtbild-Bühne im Juni 1913. Der Nachteil, der mit der Bauart einhergeht: im Sommer wird es in dem Glashaus extrem heiß – worüber sich Schauspieler:innen auch beschweren.

Die erfolgreichen Jahre des deutschen Films

Natürlich ist der Krieg, der kurz darauf ausbricht, ein Dämpfer für die Filmindustrie. Kinobesuchszahlen gehen zurück, und so auch die Einnahmen. Doch der Krieg ist auch eine Chance für die deutsche Filmproduktion. Da die bis zu dem Zeitpunkt dominierenden französischen Filme in Deutschland verboten werden, öffnet sich eine Marktlücke, die nicht nur von amerikanischen, sondern auch von deutschen und dänischen Produktionen gefüllt wird.

In den zwei Produktionsstätten in der Oberlandstraße werden in den folgenden Jahren zahlreiche international erfolgreiche Filme gedreht. Darunter zählen zum Beispiel diverse Filme der dänischen Stummfilm-Star Asta Nielsen oder des Regisseurs Ernst Lubitsch. Erstere sollen sich täglich und weltweit laut Berechnungen von Davidsons Mitarbeitern etwa 1,5 Millionen Kinobesucher ansehen. Ernst Lubitsch dagegen führt nach anfänglichen in Tempelhof gedrehten Erfolgen wie „Die Augen der Mumie Ma“ (1918) seine Karriere in Hollywood fort. Dort erhält er kurz vor seinem Tod noch einen Ehrenoscar für sein Lebenswerk.

Doch das ist nur der Beginn der Geschichte der großen roten Häuser an der Oberlandstraße. Das 20. Jahrhundert hat für die 1913 debütierende Filmproduktionsstätten noch einiges zu bieten. In den darauffolgenden Jahren wird die Straße südlich vom Tempelhofer Feld geprägt vom Übergang zum Tonfilm, den ersten Synchron-Studios, und von der anfänglichen deutschen Fernsehgeschichte. Dabei reihen sich Namen wie der Alfred Hitchcocks oder Edgar Wallaces an Film- und TV-Titel wie „Emil und die Detektive“ oder „Nachtstudios“.

*Talks mit Helena Norberg-Hodge

Vor etwa fünfzig Jahren betritt Helena Norberg-Hodge als Teil einer Dokumentarfilm-Crew einen kleinen Teil Tibets Namens Ladakh. Die Region ist damals noch kaum von der Weltwirtschaft berührt und bringt die schwedische Aktivistin zu einer Einsicht, die ihr Leben prägen wird. Was genau diese Einsicht ist, und welche Konsequenzen Norbert-Hodge daraus gezogen hat, das stellt sie im zweiten Talk der Veranstaltungsreihe bei uns in den Atelier Gardens vor.

Kleiner, langsamer, lokal

In TON 1 haben sich an die 60 Leute zusammengefunden. Die Atmosphäre an diesem Abend ist gemütlich, fast schon intim – passend zu Norberg-Hodges Motto der Lokalisierung. Die Gründerin und Direktorin der International Society for Ecology and Culture sitzt mit unserem Vision and Community Direktor Benjamin Rodriguez Kafka auf einer kleinen Bühne und erzählt: „Als ich damals in Ladakh ankam, kam mir die Idee man müsse kleiner, langsamer und lokal werden – das war der größte Moment meines Lebens“.

Norberg-Hodge hat zu dem Zeitpunkt schon einiges von der Welt gesehen, ihre Bildung hat sie in Schweden, Deutschland, Österreich, England und den USA erhalten. Außerdem spricht sie sechs Sprachen fließend. Und trotzdem entdeckt sie in Ladakh etwas ganz Neues: „alle Unterschiede, die ich zwischen mir bisher bekannten Kulturen erkannt hatte, schienen mir nichtig, als ich mit dieser alten und indigenen Kultur in Kontakt kam“. Bedeutend ist für sie, dass es in der Ladakhi Denkweise ein Verständnis dafür gibt, dass Menschen nur ein Teil des Gesamtsystems der Natur sind und sich dieser ständig anpassen müssen.

Lokalisierung für die Gesundheit

„Die Ladakhis waren die glücklichsten Menschen überhaupt“, so Norberg-Hodge. Sie erzählt, wie sie nach ihrer Reise nach Schweden zurückkommt, diesem Land, das von allen als so erfolgreich erachtet wird. Und doch sieht sie dort anders als in Ladakh Alkoholismus, Depressionen und hohe Selbstmordraten. Schuld daran ist laut Norberg-Hodge die Globalisierung und so elaboriert sie ein neues Konzept: die Ökonomie des Glücks. Wichtig ist die Rückkehr zum Lokalen, die Wiederherstellung der Verbindung zur Gemeinschaft und zur Natur.

Die Absurdität, welche teils mit Globalisierung verbunden ist, verbildlichen Ausschnitte aus Norberg-Hodges Dokumentarfilm „Planet Local“. Schottische Garnelen zum Beispiel werden nach dem Fang zum Schälen nach Thailand verfrachtet, nur um dann wieder zurück nach Schottland geschickt zu werden. Auch der Deutsche Milchaußenhandel kann nur als bizarr beschrieben werden: 2020 war Deutschland nicht nur der zweitgrößte Milchimporteur, sondern auch -exporteur. Die Schwedin kommentiert: „Unsere Arme sind so lang geworden, dass wir nicht mehr sehen, was unsere Hände machen“. Es geht laut ihr kein Weg an der globalen Lokalisierung vorbei.

Mehr Verbundenheit zu Mensch und Natur

Der Vortrag von Norberg-Hodge ist so gesehen eine Weiterführung des Soil, Soul and Society Konzepts von Satish Kumar, das auch unseren Campus antreibt. Der indische Aktivist hatte vor einigen Wochen mit faszinierenden Geschichten aus seinem Aktivismus-Leben den Auftakt der Veranstaltungsreihe gemacht.

Mehr zu dem Vortrag Kumars, unserem Campus und unseren kommenden Veranstaltungen findet ihr auf unserer Website zu lesen.

Von Tontafeln hin zu KI: Formen der Kommunikation

Von Tontafeln hin zu KI: Formen der Kommunikation

„Lanah? Lanah, wir haben dich wieder verloren.“ Auf der in TON1 aufgespannten Leinwand ist das Gesicht der aus dem Iraq per Zoom zugeschalteten Archäologin, Lanah Haddad, eingefroren. Die Ironie der Situation ist kaum zu übersehen, an diesem Abend, der unter dem Thema „From Clay Tablets to AI“ – „Von Tontafeln hin zu KI“ – steht. Ayham Majid Agha, der Kurator der Veranstaltungsreihe, schmunzelt: „wie sonst hätten wir KI besser erklären können?“.

Eine interdisziplinäre Annäherung

Zusammen mit den Gästen soll an dem Abend reflektiert werden, wie wir untereinander kommunizieren – mal aus künstlerischer, mal aus akademischer Perspektive, mal durch Vorträge, mal durch Performances. Den Auftakt macht Tiara Roxanne, Performance Artist, mit einem Vortrag zur Grammatik des Worts „gathering“, also Sammeln. Die schnell aufeinanderfolgenden und sich immer wiederholenden Worte wirken wie eine Meditation, und laden das Publikum dazu ein sich kritisch damit auseinanderzusetzen, wie Digitalisierung unsere Art und Weise des Erinnerns, des Erzählens, des Miteinanders, des Sammelns und wer wir sind verändert hat.

Auf Roxanne’s Performance folgt ein Vortrag des syrischen Archäologen, Yasser Showhan. Mit der (etwas stockenden) Übersetzung von Haddad geht Showhan auf die Ursprünge der Keilschrift ein und beruft sich dabei auf Mesopotamische Tontafeln. Denn schon sehr früh, genauer gesagt ca. 4000 Jahre vor Christus, sahen die Menschen einen Nutzen darin, Dinge schriftlich festzuhalten: sei es zum Handeln, zum Dokumentieren von landwirtschaftlichen Beständen, zum Rechnen, zur Verfolgung astrologischer Ereignisse, zum Festhalten von Liedtexten, oder zum Kommunizieren.

Der Abend wird zunehmend partizipativer. Mit der Musik von Bashar Al-Darwish wird das Publikum in die Welt der KI-generierten Töne einführt, die Al-Darwish selbst als „Klang der Zukunft“ beschreibt. Bevor Roxanne sich in einer weiteren Performance mit den Verbindungen zwischen KI und Kolonialismus auseinandersetzt, dürfen die Gäste ihre eigene Kreativität an Tontäfelchen ausleben. An einer Open Bar lässt man den Abend mit Musik allmählich ausklingen.

Nur ein Anfang

Dieser Abend ist der erste in der Veranstaltungsreihe „Artémon“. Der Name ist nicht zufällig ausgewählt: Er ist eine Mischung aus den englischen Wörtern „art“ und „monster“, weil die Veranstaltungsreihe einen Raum für Künstler:innen bieten soll, die oft noch etwas schüchtern sind, ihre eigenen Kunstwerke – ihre Monster – vor einem Publikum zu präsentieren. Hinzu sollen diese explorativen Abende den Gästen auch die Möglichkeit geben, die unbekannteren Seiten der Atelier Gardens zu entdecken, wie zum Beispiel Keller 7, Halle 12, oder Studio 2.

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DIE FOTOGRAFISKA DAYS IN DEN ATELIER GARDENS: MODE ALS KUNSTFORM

Sonnenbrillen trotz andauerndem Regen – an Style mangelt es in den Fotografiska Days in der Oberlandstraße nicht. Vom 23. Bis zum 25. März beherbergten die Atelier Gardens die „Cultural Fabric“-Ausstellung des schwedischen Fotomuseums Fotografiska: eine Veranstaltung, die einiges an Publikum in die Industriezone südlich des Tempelhofer Felds zog.

Einmal durch das Tor, links vorbei and den Bürogebäuden der Atelier Gardens und gerade aus bis zur großen, mit TON 1 beschrifteten Halle. Man merkt den Besucher*innen die Aufregung an, wie sie untereinander tuscheln und voller Neugierde in die Halle hinter der Eingangskontrolle spähen.

Ein buntgemischtes Programm

Dort fanden über drei Tage hinweg eine Reihe von Veranstaltungen rund um die Themen Kunst und Mode statt. Neben einer Ausstellung, in der die Werke von neun international renommierten Künstler:innen präsentiert wurden, setzte sich das Programm auch aus Podiumsdiskussionen, Filmprojektionen, einem Ballroom Showcase von So Extra Berlin und einer großen Abschlussparty zusammen.

Das Ziel war es, die Verbindung zwischen den Mode- und Kunstwelten zu hinterfragen. Im Zentrum stand in diesen Tagen die Frage, wie gesellschaftliche Integrität und künstlerische Independenz aufrechterhalten werden können.

Kunst, Mode, oder doch eher politisches Statement?

Der Übergang zwischen Kunst, Mode und Aktivismus ist hier teils fließend. Das sagte zumindest Künstlerin Šejla Kamerić über sich selbst: „Meine Werke sind eine direkte Reaktion auf meine Umweltbesorgnis“. Die Bosnierin bedruckt gebrauchte Anziehsachen, die von Westeuropa in den Osten verschickt werden mit dem Slogan „The Party is Over“ und bringt sie zurück, zum Beispiel nach Berlin, wo sie sie ausstellt oder verschenkt. Im Visier ihrer Kritik ist dabei die sogenannte „Fast Fashion“.

Auch mit Fragen der kulturellen Zugehörigkeit und Identität befasste sich die Ausstellung. Zum Beispiel durch Mous Lamrabats Fotografien. Darauf sind Menschen mit traditionell muslimisch-geprägten Anziehsachen wie Djellabas zu sehen. Oft nur auf einen zweiten Blick erkennbar sind auf den Bildern die Logos des westlichen Kapitalismus: Hier ein Nike-Haken, da ein McDonalds „M“ und dort SpongeBob Schwammkopf. Denn, so sieht es auch Künstler Jojo Gronostay, „ähnlich wie Stoff ist Kultur etwas verwobenes“.

Diese oft noch übersehene oder verniedlichte Form der Kunst traff auf offene Ohren, zumindest beim Berliner Publikum. In der vollgepackten Atelier Gardens Kantine, vor den Kunstwerken, bei den Fragerunden, oder auch bei der Zigarette vor TON 1 wurde angeregt diskutiert. Ein offensichtlicher Erfolg für die Kollaboration zwischen Fotografiska und den Atelier Gardens!

Erfahren Sie mehr über Fotografiska Berlin.

WILLKOMMEN ZUM ATELIER GARDENS JOURNAL

Willkommen zum Atelier Gardens Journal.

Hier wollen wir Euch Eindrücke zu den spannenden Entwicklungen, regenerativen Innovationen und Ergebnissen der kollaborativen Arbeit auf dem Campus vermitteln, Neuigkeiten teilen und Akteur*innen vorstellen.

Atelier Gardens ist und war schon immer ein einzigartiger, kreativer Campus mit über hundert Jahren Filmgeschichte: Früher setzten Visionäre ihre Ideen mithilfe von Filmen um, einer lang etablierteren Möglichkeiten, andere zu begeistern und zu motivieren. Während noch immer Film und Fernsehen auf dem Atelier Gardens Campus produziert werden, hat sich der Schwerpunkt heute verlagert, und Atelier Gardens ist ein Laboratorium für die Macher eines positiven globalen Wandels.

In diesem Journal werden wir die kontinuierlichen Veränderungen und Innovationen auf dem Gelände vorstellen, Ideen rund um Kollaboration, Gemeinschaft und Zirkularität diskutieren und über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Atelier Gardens, von Neuigkeiten, Veranstaltungen, Menschen, Tieren, Pflanzen und Projekten auf unserem Campus berichten. Begleitet mit uns die Veränderungen auf Atelier Gardens und lernt über neue Ansätze, wie positiver Wandel im Stadtalltag wirklich werden kann.

Bleibt gespannt auf viele unterschiedliche, inspirierende Beiträge: Kurzinterviews mit interessanten Changemaker*innen, Fotostorys zu abwechslungsreichen Events, Tipps, Information und Anregung für Regenerative Aktivitäten bis hin zu tieferen Einblicken in die Geschichte und Transformation unseres Campus.